“Legal Tech” hieß das Thema der diesjährigen Podiumsdiskussion der Schleswig-Holsteinischen Rechtsanwaltskammer. Auf dem Podium waren renommierte Experten aus Politik und Rechtsberatung zu Gast. Es diskutierten unter der Moderation von Burkhard Plemper Dr. Konstantin von Notz, MdB, stellvertretender Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Kuuya Chibanguza, Rechtsanwalt und Partner der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Direktor des Interdisziplinären Instituts für Automatisierte Systeme e.V. (RifaS) in Hannover und Mitherausgeber des Handbuchs “Künstliche Intelligenz”, sowie Marco Klock, CEO bei der Legal-Tech-Kanzlei rightmart.
Mandanten erwarten den Einsatz von Legal Tech
Bereits heute werde Legal Tech in der Kanzleiverwaltung und der Mandatsarbeit in Wirtschaftskanzleien als Hilfsmittel für die Organisation von Terminen, die elektronische Aktenführung, die Erstellung von Dokumenten aller Art wie z. B. Verträgen und NDAs sowie die Analyse von umfangreichen Dokumenten und Datenmengen eingesetzt, auch weil dies die Mandanten erwarten, erklärt Dr. Kuuya Chibanguza. Man könne daher nicht mehr nur von einem “Trend” oder “Buzzword” sprechen. Legal Tech habe und werde die Rechtsberatungsbranche und den Anwaltsberuf tiefgreifend verändern. Die Anwendungen bieten großes Potential für die Effizienzsteigerung in der Rechtsberatung, gleichzeitig aber auch Risiken für diejenigen, die den veränderten Anforderungen an die Anwaltschaft nicht gerecht werden.
Legal Tech und klassische Rechtsberatung verbinden
Für Marco Klock, CEO der rightmart Group, ist die Debatte “Legal Tech ODER klassische Rechtsberatung durch Kanzleien” eine Scheindebatte. “Es werden mit flightright, geblitzt.de, hartz4widerspruch und einigen
anderen immer die gleichen Beispiele genannt, ohne dabei deren Relevanz in Relation zum gesamten Rechtsmarkt für Verbraucherinnen und Verbraucher zu stellen.”
Die sogenannten Legal-Tech-Kanzleien haben im Bereich des Verbraucherrechts bisher ausschließlich kleinere Nischen besetzt und nur dort Traktion generiert, wo Rechtsschutzversicherungen die Kosten getragen haben. Alle Marktplatz-Ansätze seien mehr oder weniger gescheitert, und zusätzlich steht hinter jedem Legal-Tech-Unternehmen dann meistens noch eine Kanzlei, die den Umsatz generiert.
Die wahren Champions der letzten Jahre seien Kanzleien wie rightmart, Gansel, KGR, WBS oder Stoll & Sauer. Diese Kanzleien, die in der Regel auch Marketing, Vertrieb, Software und Geschäftsmodelle in andere Gesellschaften ausgelagert haben, erwirtschaften achtstellige Umsätze. Sie dominieren Vertriebskanäle, arbeiten mit umfangreichen Daten und treiben auch in Zusammenarbeit mit SaaS-Anbietern (in und außerhalb des Legal-Tech-Marktes) den technologischen Fortschritt voran.
Legal Tech ist eine Chance für den Rechtsberatungsmarkt
Für Klock ist es ganz eindeutig: “Legal Tech ist keine Bedrohung für den Rechtsberatungsmarkt, sondern eine Chance.” Legal Tech sei vor allem eines: eine neue, kundenorientierte Denkweise, Rechtsdienstleistungen zu verkaufen und zu erbringen. Dies umfasse die Art und Weise, wie die Mandate akquiriert und wie diese dann digital verarbeitet werden. Die Methoden seien: digitale Prozesse, strukturierte Daten, Automatisierung wiederkehrender Arbeitsschritte und sicherlich irgendwann auch KI, was heute allerdings keine Rolle spiele. Dieses Mindset senke die Kosten der Rechtsdienstleistung und erleichtert den Zugang zum Recht für alle Verbraucher. Dies zeige sich mal als Prozesskostenfinanzierung oder mal als automatischer Verzicht auf die Selbstbeteiligung bei versicherten Mandanten. Ob »Legal Techs«, Legal-Tech-Kanzleien oder »normale« Kanzleien – alle profitieren davon und fördern insgesamt den Zugang zum Recht.
Neue Herausforderungen bringt der Einsatz von KI
Die Bedeutung von Legal Tech haben auch Teile der Justiz bereits erkannt, denn ab Juli 2023 können sich Referendarinnen und Referendare in Bayern in den Bereichen Legal Tech und IT-Recht spezialisieren. “Allgemein ist dieser Bereich jedoch in der Ausbildung noch unterrepräsentiert”, ergänzt Chibanguza. “Ganz andere Herausforderungen wird allerdings der Einsatz von künstlicher Intelligenz mit sich bringen”, so Klock. Aber auch eine KI könne nicht die Grundlagenarbeit für gute Datenstrukturen und Prozesse ersetzen. Vor allem erwerbe KI nicht durch schlaue Antworten das Vertrauen der Menschen.
Mandate sind häufig empathiegetrieben
Ein Mandat, auch in repetitiven Fallgruppen wie z. B. Kündigungsschutzklagen, sei häufig sehr empathiegetrieben. Ohne eine kleinere Beratung, die auch heute in 80 % der Fälle rein ergebnisorientiert nicht sinnvoll sei, entscheide sich der Mensch für eine andere Kanzlei oder einen anderen Anbieter, erläutert Klock. Auch wenn es bereits heute möglich sei, werde es noch dauern, bis KI oder etwas wie ChatGPT relevanten Einfluss auf den Rechtsmarkt habe. Es werde die Rechtsberatung verändern und damit die Arbeit der Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen. Als Standardwerkzeug werden KI-Modelle diesen Einfluss über Softwarelösungen vorantreiben und bei den Anwendern für weitere Chancen sorgen – denn diese können noch günstiger das Recht replizieren. Langfristig werde dies zu einer Konsolidierung des Rechtsmarktes führen und dazu, dass kleinere Einheiten nicht mehr konkurrenzfähig seien. Dafür gebe es allerdings dann andere Jobs in größeren Kanzleien, ohne persönliches Risiko, erläutert Marco Klock.
Für Konstantin von Notz ist es wichtig, dass Transparenz hergestellt werde. Es müsse angegeben werden, zu welchen Anteilen ein Schriftsatz von einer KI oder einem Anwalt erstellt worden sei. Für den Verbraucher müsse klar sein, wer die Dienstleistung erbracht habe. Notz möchte den Einsatz von KI nicht dämonisieren. Nur müsse deutlich sein, wer zuletzt die Entscheidung treffe, denn dieser trage auch die Verantwortung und ob dies eine KI könne, sei fraglich.
Kanzleien dürfen sich dem Einsatz von KI nicht verschließen
Für Kuuya Chibanguza bestehen die Risken durch Legal Tech vor allem dann, wenn die Rechtsunsicherheiten bei dessen Einsatz fortbestehen beziehungsweise nicht durch den Gesetzgeber aufgelöst werden oder Kanzleien sich dem Wandel verschließen, da der resultierende Mangel an Effizienz zu geringerer Wettbewerbsfähigkeit führe. In der weiteren Entwicklung sollte daher auch Gegenstand der Diskussion sein, wie man die Kollegen und Mitarbeiter, insbesondere die weniger technikaffinen, für Legal Tech und den dadurch in Gang gebrachten Wandel begeistern könne. Hier sollte der Fokus auf der Herausstellung der Vorteile, wie der Erleichterung des Arbeitsalltags, der Effizienzsteigerung und der Kostensenkung, liegen. Auch die Auswirkungen des Fachkräftemangels können durch Legal Tech abgefedert werden. Insgesamt geht es bei der Implikation von Legal Tech auch um einen Mindsetwandel.
Rechtsunsicherheit stellt Innovationshemmnis dar
Dennoch bestehen weiterhin einige offene Fragen bei der Nutzung von Legal Tech durch Anwälte und Kanzleien, insbesondere hinsichtlich des anwaltlichen Berufsrechts und den sich daraus ergebenden haftungs- und versicherungsrechtlichen Fragen. Die resultierende Rechtsunsicherheit stellt aktuell noch ein Innovationshemmnis für Legal-Tech-Anwendungen im anwaltlichen Bereich dar, führt Chibanguza aus.
Verbraucher müssen vor unregulierten Beratern geschützt werden
Kritisch zu betrachten sei auch die immer noch bestehende Ungleichbehandlung zwischen der Anwaltschaft und den sonstigen Anbietern von Legal-Tech-Anwendungen, welche nicht unter das Rechtsdienstleistungsgesetz fallen. Hier muss der Gesetzgeber aktiv werden, um sowohl die Rechtssuchenden, insbesondere die Verbraucher, vor unregulierten Anbietern zu schützen als auch Anwaltschaft mit der fortschreitenden Digitalisierung nicht weiter ungerechtfertigt zu benachteiligen.
“Die Ampelkoalition hat mit der Zentralisierung der Aufsicht über Inkassodienstleister, Legal Tech und andere Rechtsdienste beim Bundesamt für Justiz bereits einen wichtigen Schritt unternommen, um einheitliche Standards und einen modernen Rechtsdienstleistungsmarkt zu schaffen. Wir arbeiten konsequent an einer weitergehenden Regulierung, die den Potenzialen von Legal Tech zur Geltung verhilft und zeitgemäße Rahmenbedingungen für eine leistungsfähige Justiz und effektiven Verbraucherschutz schafft”, erklärt Konstantin von Notz.
Die Legal Tech und Künstliche Intelligenz werden den Rechtsberatungsmarkt verändern. Welche weiteren Herausforderungen dies für die Akteure bringen wird, werden wir 2024 in einer weiteren Folge der Podiumsdiskussion der Schleswig-Holsteinischen Rechtsanwaltskammer diskutieren. Sei gespannt!