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„Sprache ist der Träger von Emotionen“ – Interview mit Erdal Kalyoncuoglu

Anwaltsnotar mit Migrationshintergrund Erdal Kalyoncuoglu
Im Interview spricht Erdal Kalyoncuoglu, Anwaltsnotar mit Migrationshintergrund, über die Unterschiede in der Arbeit von Anwalt und Notar.

Vielfalt prägt nicht nur unsere Gesellschaft, sondern bereichert auch die Rechtsberufe. In diesem faszinierenden Interview mit Erdal Kalyoncuoglu, einem Anwaltsnotar mit Migrationshintergrund, tauchen wir ein in die spannende Geschichte, wie er es geschafft hat, nicht nur Anwalt, sondern auch Notar zu werden. Erfahre mehr über seine Leidenschaft für die juristische Arbeit, die skurrilen Fälle, die seinen Berufsalltag prägen, und die herausfordernde Realität, warum Anwälte mit Migrationshintergrund in diesem Beruf immer noch unterrepräsentiert sind. Außerdem erfahren wir von Erdal Kalyoncuoglu, wie sich die Berufe des Rechtsanwalts und des Notars in der täglichen Arbeit unterscheiden.

Wie sind Sie zu dem Beruf Rechtsanwalt und Notar gekommen?

Ich hatte eine gute Sprachkompetenz, ein gutes Allgemeinwissen und vor allem den Ehrgeiz, Rechtswissenschaften zu studieren. Ich habe dann zunächst mein Grundstudium in Marburg, mein Hauptstudium in Münster und mein Referendariat in Schleswig-Holstein absolviert. Nach erfolgreichem Abschluss wurde ich 2014 als Rechtsanwalt in Hamburg zugelassen. Man muss sich schon während des Studiums auf das Leben nach dem Studium vorbereiten, sonst landet man ganz schnell beim Arbeitsamt. Deshalb würde ich allen, die sich für den Beruf interessieren, raten, schon während des Studiums gute Kontakte zu knüpfen und sich einen Plan für die Zeit danach zu machen. Ich habe mich zunächst mit einem Partner selbstständig gemacht und dann ein halbes Jahr als Angestellter in einer Kanzlei gearbeitet, die auf Insolvenzverwaltung spezialisiert war. Ich habe aber schnell gemerkt, dass mir dieser Bereich keine Freude bereitet. Wie das Wort Insolvenzverwaltung schon sagt, hat man viel mit der Verwaltung sterbender Unternehmen zu tun. Aber ich möchte lieber gestalten. Dann habe ich meinen jetzigen Geschäftspartner kennengelernt, der damals kurz vor seinem Notariatsexamen stand. In dieser Zeit konnte ich ihn entlasten, damit er für das Examen lernen konnte. Durch meinen Geschäftspartner hatte ich die Möglichkeit, den Beruf des Notars richtig kennenzulernen, denn leider ist der Beruf auch für Rechtsanwälte nicht wirklich zugänglich. Schnell entschied ich mich dann dazu ebenfalls Notar werden zu wollen.

Wodurch unterscheiden sich die Berufe des Anwalts und der des Notars im Arbeitsalltag voneinander?

Die Arbeit als Rechtsanwalt ist sehr abwechslungsreich. Auch wenn man sich auf ein Fachgebiet spezialisiert, hat man dennoch viele Berührungspunkte mit anderen Rechtsgebieten. Der Beruf des Rechtsanwalts ist mit Streitigkeiten verbunden. Du vertrittst die Interessen deiner Mandanten und musst dafür kämpfen. Rechtsanwälte sind berechtigt, ihre Mandanten zu beraten und vor Gericht zu vertreten. Als Notar ist man ein unabhängiger und unparteiischer Betreuer aller Beteiligten. Die Mandanten müssen sich vor der Beurkundung selber einigen, da darf ich keine Hand drin haben.

Welche Stärken und Fähigkeiten sind für die Berufe in einer Kanzlei von Vorteil?

Im Anwaltsberuf muss man gut zuhören und analysieren können. Man braucht sehr gute mündliche und schriftliche Kommunikationsfähigkeiten. Es muss einem gelingen, das Vertrauen der Mandanten zu gewinnen und sie dazu zu bringen, die Kontrolle abzugeben. Man muss in der Lage sein, Menschen durch Fragen zu öffnen. Es gehört auch ein gewisses Selbstbewusstsein dazu, denn man muss nicht nur mit den Mandanten sprechen, sondern auch mit den Gerichten und natürlich mit dem gegnerischen Anwalt. Ein Anwalt braucht auf jeden Fall auch Einfühlungsvermögen, um mit seinen Mandanten auf Augenhöhe sprechen zu können. Sobald diese anfangen, ihre Geschichte zu erzählen, muss man als Rechtsanwalt die Informationen herausfiltern, die für den Fall wichtig sind. Wir müssen unsere Mandanten auch über die Risiken aufklären, damit sie verstehen, dass es im schlimmsten Fall vielleicht nicht so läuft, wie wir es gerne hätten, denn am Ende entscheidet der Richter. Es gibt auch die Möglichkeit eines Vergleichs, aber ob der Mandant alles bekommt, was er will, ist trotzdem nicht garantiert. Ich als Anwalt habe auch eine Eigenverantwortung gegenüber allen. Letztlich habe ich die alleinige Pflicht, meinen Mandanten rechtlich zu vertreten, und wenn ich mich nicht ausreichend vorbereite oder ihn falsch berate, leidet mein Mandat und nicht ich. Eine Fähigkeit, die ich besonders hervorheben möchte und für wichtig halte, ist Integrität! Als Rechtsanwalt und Notar sollte man sich immer an alle formalen rechtlichen Regeln halten. Dazu gehören auch ethische Standards und eigene Wertvorstellungen, die Transparenz, Fairness, Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit beinhalten sollten.

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Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Mein Tagesablauf ist sehr straff strukturiert. Von morgens bis mittags habe ich meistens Gerichtstermine. Danach gehe ich ins Büro und habe verschiedene Besprechungen oder Telefontermine. Meistens sitze ich bis zum Nachmittag an Schriftsätzen und Entwürfen für verschiedene Mandanten. Da die meisten Klienten berufstätig sind, kommen sie meistens nachmittags zu Terminen in die Kanzlei. Natürlich bereite ich zwischendurch auch immer wieder Termine vor, die dann im Laufe des Abends anstehen. Denn ich bin bestrebt, jeder Person, die in meine Kanzlei kommt, die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken. Natürlich habe ich auch zwischendurch Beurkundungen.

Gibt es für Sie besondere Herausforderungen?

Am anstrengendsten am Beruf des Rechtsanwalts und Notars finde ich die Büroorganisation. Ich muss mich nicht nur um meine Mandanten, sondern auch um meine Mitarbeiter kümmern. Was ich persönlich als Notar auch als Herausforderung sehe und was man nie außer Acht lassen darf: Je höher die Werte sind, die man von einer Person zu einer anderen Person oder zu einem anderen Unternehmen transferiert, desto höher ist auch die Haftung. Natürlich gibt es Versicherungen, aber die meisten decken nur Summen zwischen 5 und 10 Millionen ab. Ich habe auch schon Werte von 30-40 Millionen bewegen müssen und da muss man schon sehr genau und organisiert mit solchen Dokumenten umgehen. Eine kleine Herausforderung ist natürlich auch der Übergang vom Interessenkampf zur Unparteilichkeit.

Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Meine erste Beurkundung war für mich etwas ganz Besonderes. Ich habe den ersten Hauskauf meiner Freunde beurkundet. Da waren sehr viele Emotionen dabei. Denn die Studienzeit und dann natürlich noch einmal die Notarprüfung ist wirklich sehr anstrengend. Umso wichtiger ist es, die richtige Unterstützung und die richtigen Leute um sich zu haben. Meine Freunde haben mich auf diesem Weg unterstützt und mir die Kraft gegeben, nicht aufzugeben. Mir würden aber auch skurrile Fälle einfallen. Als Notar ist es mir schon passiert, dass Leute zu mir kamen, weil sie einen Musiktext geschrieben haben, der ihrer Meinung nach so gut war, dass ich den unbedingt beurkunden sollte.

Sie sind auch türkischsprachig. Wie oft haben Sie türkischsprachige Mandanten und welche Rolle spielt die Sprachbarriere sowohl im notariellen als auch im anwaltlichen Bereich?

Ich merke immer wieder, wenn ich türkischsprachige Mandanten habe, dass sie sich emotional besser aufgehoben fühlen, wenn sie wissen, dass ihr Gegenüber ebenfalls Türkisch versteht. Meistens handelt es sich um Menschen, die zwar schon lange in Deutschland leben und sich hier integriert haben, aber türkisch denken und zu Hause mit ihren Angehörigen türkisch sprechen. Ohne diese Barriere kann ich auch empathischer auf sie eingehen, denn ich sage immer „Sprache ist der Träger von Emotionen“. Meistens kommen auch die Mandanten, egal ob im Anwaltsbereich oder im Notariat, mit einer Meinung rein und wenn man dann mit ihnen reden kann und ihnen alles erklären kann, kann es auch sein, dass sie mit einer ganz anderen Meinung wieder rausgehen. Was auch super ist, dadurch, dass ich mit ihnen auf Türkisch sprechen kann, brauchen sie keinen Dolmetscher für die Beurkundung. Um Geld zu sparen, bringen viele Mandanten einen juristischen Laien mit und dann muss ich mich als Notar davon überzeugen, dass der auch alles richtig übersetzen kann, sonst muss ich die Beurkundung abbrechen. Denn als Notar hafte ich möglicherweise, wenn der Übersetzer der Partei nicht richtig übersetzen kann und der Mandant deshalb etwas unterschreibt, was er gar nicht verstanden hat oder möchte.

Sie sind Anwaltsnotar mit Migrationshintergrund. Warum gibt es Ihrer Meinung nach nur wenige Notare mit ähnlichem Hintergrund?

Viele Migranten haben kein akademisch vorgebildetes Elternhaus und wissen nicht wirklich, welche Möglichkeiten es für sie gibt. Meine Eltern hatten auch etwas anderes für mich geplant, aber mir war sofort klar, dass ich mir das nicht für mein Leben vorstellen konnte. Außerdem dauert das Jurastudium einfach sehr lange und ist sehr stressig. Auch wenn man keinen Migrationshintergrund hat, ist es sehr schwer. Man braucht auch ein bisschen Glück im Leben. Denn in diesen 15 Jahren kann so viel passieren, auf das man nicht vorbereitet ist. Da machen die Begegnungen und die persönlichen Lebensumstände sehr viel aus. Wenn man das Glück hat, tolle Menschen um sich zu haben und wirklich für die Rechtswissenschaft brennt, dann möchte ich dazu ermutigen, Jura zu studieren und sich dann zu überlegen, ob Notar nicht auch etwas für einen ist.

Wie könnte das geändert werden?

Ich würde den Notarberuf viel nahbarer und sichtbarer machen. Viele Notare sind kommen selbst aus Juristenfamilien. Der Vater und der Großvater waren schon Notare und dann ist es klar, dass man sich für den Notarberuf interessiert. Ich habe auch durch meine Nichte gemerkt, wenn man einen Verwandten hat, der diesen Beruf ausübt, dann hat man keine Berührungsängste. Ich würde auf jeden Fall jedem empfehlen, sich mit den Berufen Rechtsanwalt und Notar auseinanderzusetzen und den Kontakt zu Berufsträgern zu suchen.

Was ist Ihnen an Ihrer Arbeit noch wichtig?

Auch ehrenamtliches Engagement ist mir wichtig. Deshalb unterstütze ich den Akademikerbund Hamburg e.V. in allen rechtlichen Belangen. Dabei handelt es sich um einen gemeinnützigen Verein und unter anderem Träger des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge für Integrations- und berufsbezogene Deutschkurse. Der Verein wurde 2005 von Studierenden und Absolventen der Universität Hamburg gegründet. Ziel ist es, Menschen mit Migrationshintergrund die Integration in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Wir wollen den Austausch zwischen Deutschen und Ausländern fördern. Außerdem helfen wir bei der Jobvermittlung oder bei der Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen. Durch die Gründung einer Kindertagesstätte und Deutsch-Nachhilfe nehmen wir Geld ein, mit dem wir Stipendien vergeben und Bildungsaufsteiger mit Migrationshintergrund weiter fördern.